Man schreibt den 1.Januar. kurz vor Sonnenaufgang. Friedrich, ein junger Bursche aus Göbschelwitz, ist für diesen Neujahrstag ungewöhnlich früh auf den Beinen und schlürft heute besonders aufgeregt seinen morgendlichen Kaffee. Er hat es etwas eilig und wird, sobald die Sonne hervorlugt, mit seinem Bündel das kleine Haus in der Schulgasse verlassen. Er war 16, als die Familie vor 6 Jahren nach dem Tod des Großvaters aus der Stadt an der Mulde hierher umgezogen ist. Friedrichs Mutter packt ihm noch 6 Stullen ein, schaut ihm hinterher und denkt: "Dieser Bursche mit seinen Füßen Größe 44 ist doch Großvater sehr ähnlich geworden, ist genauso gut zu Fuß wie er. Neumodische Verkehrsmittel hat er keine, und sie kennt ihn nicht anders, als dass er jeden Tag von Sonnenaufgang bis zum 12. Schlag der Uhr seine Strecke marschieren muß."

Friedrich begrüßt um 08:14 Uhr die aufgehende Sonne an diesem unbewölktem Tag und spürt die 10 Minusgrade mit eisigem Wind Stärke 5 aus 76 Grad Ost kaum. Er stellt mit Genugtuung fest, dass die Sonne seit dem 22.Dezember schon wieder einige Minuten eher hinter dem Horizont hervorlugt. Es geht zunächst über Feldwege und er kommt gut voran. Er ist voller Freude über seinen eben begonnenen Tag. Er will die Uraufführung des neuen Stückes seines 24-jährigen Lieblingskomponisten miterleben. Friedrich ist ein Freund der alten Klassik und pfeift auf allen neumodischen Kram. Die Story der Oper hat er schon im Kopf. Da gibt es einen alten Mediziner, der scharf darauf ist, ein junges hübsches Ding zu heiraten. Diese aber hat sich in einen sehr attraktiven jungen Mann in sehr angesehener Position verliebt. Nun weiß sie nicht, wie soll sie es anstellen, den einen loszuwerden und den anderen zu bekommen. Ein netter Typ aus einer Dienstleistungsfirma hilft schließlich. Friedrichs Lieblingkomponist will mit seinem neuen Stück die Massen begeistern, einen Skandal provozieren und damit sozusagen die Hitliste erobern. Friedrich ist davon gefesselt während er seine Kilometer schrubbt. Dabei denkt er auch an sein Mädel. Ob sie heute vielleicht mit ihm gelaufen wäre? Sicher nicht, denn es wäre wohl zu anstrengend geworden. Also hat er sich davon gestohlen und wird nun mit reichlich Gewissensbissen belohnt. Schließlich verspürt er um 10:25 Uhr Hunger, geht 90 Schritte 90 Grad rechts von seinem geraden Weg ab und zieht seine Stullen heraus. Leider bleibt ihm unbemerkt, dass dabei ein Döschen aus dem Jackett rollt und in die Höhlung einer unbelaubten Hainbuche purzelt. Es ist ihm auch nicht besonders wichtig, denn schließlich liegt noch eine bedeutende Strecke vor ihm. Er schaut auf seine Uhr, ein Erbstück seines Großvaters mit den Initialen JG# und stellt fest, dass er schnell weiter muß. Er marschiert also mit großen Schritten fröhlich weiter, immer geradewegs auf sein Ziel zu.
Wer mir schreibt, wie der Großvater wirklich hieß und wo er gewohnt hat, der darf zweimal loggen!