Der Tüttensee gilt im Rahmen des Chiemgau-Impaktes als der bisher größte der Einschlagkrater. Er liegt nahe der Ortschaft Grabenstätt am Chiemsee. Seine Position am südwestlichen Ende des Kraterstreufeldes zusammen mit anderen größeren Kratern spiegelt die theoretische Verteilung von Meteoritenkratern in einer Streuellipse - pauschal zunehmend größere Krater in Einflugrichtung - wider, so wie es in anderen Meteoritenkrater-Streufeldern auf der Erde verwirklicht ist.
Meteoritenkrater - Impaktstrukturen
Die Bildung von Meteoritenkratern bei einem Impakt wird heute weitgehend verstanden.
Abb. 1 - Die Phasen der Entstehung eines einfachen, schüsselförmigen Meteoritenkraters. Beim Auftreffen eines kosmischen Projektils laufen Schockwellen extremer Energie in den Untergrund (A). Sie initiieren Verdampfen, Schmelzen und Zertrümmern des Gesteinsmaterials sowie die Aushöhlung des Kraters und den Auswurf (B). Nach der Druckentlastung verbleibt ein Krater mit einer Bodenbedeckung und einem Wall aus mehr oder weniger beanspruchten Gesteinen (C).
Ein Projektil (Impaktor), das ab einer Größe von etwa 10-20 m die Erdatmosphäre praktisch mit kosmischer Geschwindigkeit ungebremst durchschlägt, erzeugt beim Aufprall extrem starke Drücke, die sich in Form von Schockwellen in den Untergrund, aber auch in das Projektil ausbreiten (A). Verknüpft mit den Schockdrücken sind extrem hohe Temperaturen, die ausreichen, um das meteoritische Projektil beim Eindringen in die Erde in einer gewaltigen Explosion zu verdampfen. Verdampft und zusätzlich geschmolzen wird auch ein Teil des betroffenen Untergrundgesteins. Dieses Volumen wird durch die Ausbreitung der Schockwellen rasch zu einem Krater vergrößert. Unter hohem Druck wird dabei Gesteinsmaterial gegen Wände und Boden dieses Kraters gepreßt (B), zunehmend deformiert und zerbrochen und teilweise aus dem Krater als Auswurfmassen hinausgeschleudert (B), wodurch sich am Kraterrand ein Ringwall bildet, um den noch ein Schleier aus Auswurfmassen angeordnet ist (C). Nachdem die Kompression der Schockwellen-Bewegung nachgelassen hat, kommt es am Kraterboden durch die Druckentlastung zu gegenläufigen Bewegungen, die den Krater wieder flacher machen und an seinem Boden zertrümmertes Gestein hinterlassen (C). Eine solche schüsselförmige Struktur nennt man in der Impaktforschung einen einfachen Krater.
Übersteigt der Durchmesser eines Krater einige Kilometer, so kommt es in der Spätphase des Einschlags zu einem zusätzlichen Kollaps der riesigen Hohlform mit der Folge, daß durch den Massenschub ins Innere Zentralberge und Ringe entstehen können. Ein solcher, sogenannter komplexer Krater ist die 25 km messende Ries-Impaktstruktur (Nördlinger Ries) in Bayern.
Streuellipse und Kraterdimensionen
Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind annähernd 100 Krater identifiziert, vermessen und katalogisiert worden. Das geschah (und wird in der Zukunft so fortgeführt) auf der Grundlage topographischer Kartierung, einer Satellitenbildanalyse, mit systematischer Luftbildaufnahme und zeitraubender Geländeerkundung. Aus dieser Dokumentation ist die Karte der Krater-Streuellipse hervorgegangen, die in Abb. 2 gezeigt wird. Die Fläche des Streufeldes überdeckt eine Fläche von etwa 1200 km² zwischen 47,8° bis 48,4° N und 12,3 bis 13,0° E, und die Krater liegen in einer Höhe zwischen 362 und 560 m über NN.
Abb. 2 - Die Streuellipse für das Kraterfeld im Chiemgau und in der Inn-Salzach-Region.
Umgeben ist der Tüttensee von einem ausgeprägten, unvermittelt aus der Chiemsee-Verlandungsebene aufragenden Ringwall mit einer Höhe von etwa 8 m (Abb. 3, 4, 5). Dieser auffallende Ringwall war ein erster Hinweis, den Tüttensee als möglichen Meteoritenkrater näher zu untersuchen.
Abb. 3 - Der Tüttensee-Ringwall von außen (Blick von Süden).
Abb. 4 - Der Tüttensee-Ringwall im (künstlichen) Anschnitt.
Abb. 5 - Der Tüttensee-Ringwall von innen. Aufgenommen während einer Geophysik-Meßkampagne auf dem Eis.
Impakt-Kriterien sind:
1. Morphologie
Grundsätzlich runde Strukturen; Vertiefungen mit Ringwällen oder/und Zentralhügeln/-bergen, Mehrfachring-Strukturen. Morphologie ist letztlich wenig aussagekräftig, da viele andere geologische Strukturen kreisrund oder ringförmig sein und andererseits echte Impaktstrukturen stark von einer solchen Form abweichen können.
2. Geophysikalische Anomalien
Viele Impaktstrukturen sind eng mit charakteristischen gravimetrischen und magnetischen Anomalien verknüpft, aber umgekehrt erlauben gemessene Anomalien im allgemeinen nicht, von ihnen auf ein Impaktereignis zu schließen. Seismische Reflexionsmessungen mögen im Untergrund verborgene Impaktstrukturen anhand charakteristischer Schichtlagerung aufzeigen.
3. Geologische Merkmale
In Impaktstrukturen und um sie herum findet man regelmäßig: starke Deformationen, Faltung, Verwerfungen, Zerbrechungen; polymikte und monomikte Brekzien und Brekziengänge, Megabrekzien; Hochdruck-/Kurzzeit-Deformationen von Klasten in unverfestigter Matrix; Gesteine, die wie Vulkanite oder Magmatite aussehen; Horizonte aus exotischem Material.
4. Hochtemperatur-Merkmale
Schmelzgesteine, natürliche Gesteinsgläser; Brekzien mit Schmelzgesteins- und Glaskomponenten.
5. Hochdruck-Merkmale - Schockmetamorphose (Schockeffekte)
Planare Deformationsstrukturen (PDFs) in Quarz, Felspäten und anderen Mineralen; planare Brüche (PFs) in Quarz, diaplektische Quarze und Feldspäte, diaplektische Gläser; multiple Scharen intensiver Knickbänderung in Glimmern, multiple Scharen von Mikrozwillingen in Calcit. Knickbänder in Glimmer und planare Brüche (Spaltbarkeit) in Quarz sind auch von extremer tektonischer Deformation bekannt.
6. Shattercones
Shattercones sind charakteristische schockerzeugte kegelförmige Bruchflächen, die in allen Festgesteinen auftreten können. Shattercone-Bruchflächen zeigen die ganz typischen "Pferdeschwanz"-Bruchflächenmarkierungen.
7. Besondere Merkmale
Auftreten von Mikro- und Nanodiamanten; akkretionäre Lapilli; verschiedene Arten von Sphärulen. - Sphärulen können auch anthropogen sein.
8. Meteoriten-Bruchstücke
Sie fehlen in größeren Meteoritenkrater in den allermeisten Fällen, und zwar wegen der vollständigen Verdampfung des Projektils beim Aufschlag. Mikroskopischer geochemischer Nachweis des Impaktors ist prinzipiell möglich. Bruchstücke des Meteoriten werden im allgemeinen bei jungen, kleinen Kratern gefunden. Allerdings sind die im Macha-Kraterstreufeld (Jakutien) gefundenen wenigen Partikel, die man für meteoritisch hält, nicht größer als 1,2 mm.
9. Direkte Beobachtung (historische Aufzeichnung)
Abgesehen von beobachteten Meteoritenschauern (z.B. Sikhote Alin) sind Impakte, die einen Meteoritenkrater gebildet haben, nicht überliefert. Geomythen mögen als Dokumente beobachteter/erlebter Impakte gedeutet werden.
mit freundlicher Genehmigung von Hr. Kord Ernstson