Zahlen, bitte! Mystery Cache

Unordentlich stehen die Stühle herum. Der Ober will nach Hause und schenkt ihm schon keine Beachtung mehr. Er ist früh der erste und abends der letzte Gast. Ist ja auch dreist von ihm: Anfangs hat er noch ordentlich zugelangt, nun nippt er seit Stunden an ein und demselben Bier. Seit Monaten geht das nun schon so. Er spricht mit niemandem, sitzt hier vor seinem Laptop und starrt immer auf dieselbe Seite, Fragezeichen in seinen Augen. Seine sozialen Kontakte sind seit Ewigkeit auf null gefahren. Freunde? Von der ehemaligen eingeschworenen Fünferrunde, in der sie früher regelmäßig um die Häuser zogen, ist nichts übrig geblieben. Heute läuft man sich nur noch zufällig über den Weg. Neben den üblichen Floskeln zum Wetter gehen die Themen über die letzte Routineuntersuchung nicht hinaus. Irgendwann vor Jahren kam es zum Streit, der die Männergemeinschaft entzweite. Anlass war der neue Wagen, den sich einer der Kumpels geleistet hatte und stolz präsentierte: Ein schwarzer Fünftürer, Dieselfahrzeug, durchgestyltes Cockpit, Stahlfelgen. Hallo? Stahlfelgen? Es wurde gelästert statt ehrfürchtig gelobt. So ergab ein Wort das andere: „Wer sein Auto zu wichtig nimmt, macht es zum Laster“, „Oben hui, unten pfui“, „Viele Menschen fahren im Alter ein dickes Auto, passend zu ihrer veränderten Körperform“ und so weiter… Das erinnert ihn plötzlich an seine Frau.

Ostern vor elf, nein zwölf Jahren hatten sie geheiratet und die Flitterwochen auf einer Asienrundreise verbracht. Dann der Umzug in die Kleinstadt. Sie hatten sich ein hübsches Reihenendhaus gekauft und renoviert, mit Doppelflügeltüren und dem ganzen Schnickschnack. Mit Wehmut erinnert er sich an die vergangene Zeit. Wie hatten sie früher ihre Zweisamkeit genossen: Sie hatte es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht und nippte zufrieden an ihrem Glas Rotwein, er spielte ihr Liebeslieder auf dem Klavier vor. Ihre mandelförmigen rehbraunen Augen hatten es ihm besonders angetan. Und dann auf dem schwarzweißen Fell vor dem Kamin... Aber das war lange her. Jetzt gab es nur noch Kabelfernsehen und selbst das nur auf Zuteilung. Wenn er Glück hatte, durfte er sich mal ein Achtelfinalspiel der Fußball-WM ansehen. Hinzu kam, dass er schon länger an der Treue seiner Liebsten zweifelte. Anfangs war es nur ein Verdacht, dann wurde es Gewissheit. Erst letzte Nacht hatte er die beiden zusammen in eindeutiger Pose erwischt. Das passte, was für ein Klischee: sie Arzthelferin, er Chefarzt… Genug der Grübelei, dafür hat er nun wirklich keine Zeit. Mit dieser Einstellung würde er nie weiter kommen. Er nimmt einen letzten Schluck und streicht sich die Bügelfalten seiner Cargo-Hose glatt. Morgen wird er den Code bestimmt knacken!

Er zählt sein Geld zusammen und legt die Summe passend auf den Tisch. „Zahlen, bitte!“