GC-Advent 2011
- Türchen
23
"Der allererste Weihnachtsbaum"
Eine
Weihnachtsgeschichte, um das Warten auf das Christkind zu verkürzen
:-)
Weihnachtsgeschichte von Hermann Löns ( 1866 bis 1914
)
Der Weihnachtsmann ging durch den Wald. Er war ärgerlich.
Sein weißer Spitz, der sonst immer lustig bellend vor ihm auf lief,
merkte das und schlich hinter seinem Herrn mit eingezogener Rute
her.
Er hatte nämlich nicht mehr die rechte Freude an seiner Tätigkeit.
Es war alle Jahre dasselbe. Es
war kein Schwung in der Sache. Spielzeug und Esswaren, das war auf
die Dauer nichts. Die Kinder freuten sich wohl darüber, aber
quieken sollten sie und jubeln und singen, so wollte er es, das
taten sie aber nur selten. Den ganzen Dezembermonat hatte der
Weihnachtsmann schon darüber nachgegrübelt, was er wohl Neues
erfinden könne, um einmal wieder eine rechte Weihnachtsfreude in
die Kinderwelt zu bringen, eine Weihnachtsfreude, an der auch die
Großen teilnehmen würden. Kostbarkeiten durften es auch nicht sein,
denn er hatten so und soviel auszugeben und mehr nicht.
So stapfte er denn auch durch den verschneiten Wald, bis er auf dem
Kreuzwege war, dort wollte er das Christkindchen treffen. Mit dem
beriet er sich nämlich immer über die Verteilung der Gaben.
Schon von weitem sah er, dass das Christkindchen da war, denn ein
heller Schein war dort. Das Christkindchen hatte ein langes, weißes
Pelzkleidchen an und lachte über das ganze Gesicht. Denn um es
herum lagen große Bündel Kleeheu und Bohnenstiegen und Espen - und
Weidenzweige, und daran taten sich die hungrigen Hirsche und Rehe
und Hasen gütlich. Sogar für die Sauen gab es etwas, Kastanien,
Eicheln
und Rüben.
Der Weihnachtsmann nahm seinen Wolkenschieber ab und bot dem
Christkindchen die Tageszeit. "Na, Alterchen, wie geht`s?" fragte
das Christkind, "hast wohl schlechte Laune?" Damit hakte es den
Alten unter und ging mit ihm. Hinter ihnen trabte der kleine Spitz,
aber er sah gar nicht mehr betrübt aus und hielt seinen Schwanz
kühn in die Luft.
"Ja," sagte der Weihnachtsmann, "die ganze Sache macht mir so recht
keinen Spaß mehr. Liegt es am Alter oder an sonst was, ich weiß
nicht, ich hab` kein Fiduz mehr dazu.
Das mit den Pfefferkuchen und den Äpfeln und Nüssen, das ist nichts
mehr. Das essen sie auf, und dann ist das Fest vorbei. Man müsste
etwas Neues erfinden, etwas, das nicht zum Essen und nicht zum
Spielen ist, aber wobei Alt und Jung singt und lacht und fröhlich
wird."
Das Christkindchen nickte und machte ein nachdenkliches Gesicht;
dann sagte es: "Da hast du recht, Alter, mir ist das
auch schon aufgefallen. Ich habe daran auch schon gedacht, aber das
ist nicht so leicht."
"Das ist es ja gerade," knurrte der Weihnachtsmann, "ich bin zu alt
und zu dumm dazu. Ich habe schon richtiges Kopfweh von dem alten
Nachdenken, und es fällt mir doch nichts Vernünftiges ein. Wenn es
so weiter geht, schläft allmählich die ganze Sache ein, und es wird
ein Fest wie alle anderen, vor dem die Menschen dann weiter nichts
haben, als faulenzen, Essen und Trinken."
Nachdenklich gingen beide durch den weißen Winterwald, der
Weihnachtsmann mit brummigem, das Christkindchen mit nachdenklichem
Gesichte. Es war so
still im Walde, kein Zweig rührte sich, nur, wenn die Eule sich auf
einen Ast setzte, fiel ein Stück Schneebehang mit halblautem Ton
herab. So kamen die beiden, den Spitz hinter sich, aus dem hohen
Holze auf einen alten Kahlschlag, auf dem große und kleine Tannen
standen. Das sah nun wunderschön aus. Der Mond schien hell und
klar, alle Sterne leuchteten, der Schnee sah aus wie Silber, und
die Tannen standen darin, schwarz und weiß, dass es eine Pracht
war. Eine fünf Fuß hohe Tanne, die allein im Vordergrunde stand,
sah besonders reizend aus. Sie war regelmäßig gewachsen, hatte auf
jedem Zweig einen Schneestreifen, an den Zweigspitzen kleine
Eiszapfen, und glitzerte und flimmerte nur so im
Mondenschein.
Das Christkindchen ließ den Arm des Weihnachtsmanns los, stieß den
Alten an, zeigte auf die Tanne und sagte: "Ist das nicht
wunderhübsch?"
"Ja,"
sagte der Alte, "aber was hilft mir das?" "Gib ein paar Äpfel her,"
sagte das Christkindchen, "ich habe einen Gedanken."
Der Weihnachtsmann machte ein dummes Gesicht, denn er konnte es
sich nicht recht vorstellen, dass das Christkind bei der Kälte
Appetit auf die eiskalten Äpfel hatte. Er hatte zwar noch einen
guten alten Schnaps in seinem Dachsholster, aber den mochte er dem
Christkindchen nicht anbieten.
Er machte sein Tragband ab, stellte seine riesige Kiepe in den
Schnee, kramte darin herum und langte ein paar recht schöne Äpfel
heraus. Dann fasste er in die Tasche, holte sein Messer heraus,
wetzte es an einem Buchsstamm und reichte es dem Christkindchen.
"Sieh, wie schlau du bist", sagte das Christkindchen. "Nun schneid`
mal etwas Bindfaden in zweifingerlange Stücke, und mach` mir kleine
spitze Pflöckchen." Dem Alten kam das alles etwas ulkig vor, aber
er sagte nichts und tat, was das Christkind ihm sagte. Als er die
Bindfadenenden und die Pflöckchen fertig hatte, nahm das Christkind
einen Apfel, steckte ein Pflöckchen hinein, band den Faden daran
und hängte den an einen Ast.
"So," sagte es dann, "nun müssen auch an die anderen welche und
dabei kannst du helfen, aber vorsichtig, dass kein Schnee
abfällt!"
Der Alte half, obgleich er nicht wusste, warum. Aber es machte ihm
schließlich Spaß, und als die ganze kleine Tanne voll von
rotbäckigen Äpfeln hing, da trat er fünf Schritte zurück, lachte
und sagte: "Kiek, wie niedlich das aussieht! Aber was hat das alles
für`n Zweck?"
"Braucht denn alles gleich einen Zweck zu haben?" lachte das
Christkind. "Pass auf, das wird noch schöner. Nun gib mal Nüsse
her!"
Der alte krabbelte aus seiner Kiepe Walnüsse heraus und gab sie dem
Christkindchen. Das steckte in jedes ein Hölzchen, machte
einen Faden daran, rieb immer eine Nuss an der goldenen Oberseite
seiner Flügel, und dann war die Nuss golden, und die nächste an der
silbernen Unterseite seiner Flügel, und dann hatte es eine silberne
Nuss, und hing die zwischen die Äpfel.
"Was sagst nun, Alterchen?" fragte es dann, "ist das nicht
allerliebst?"
"Ja,"
sagte der, "aber ich weiß immer noch nicht - "Kommt schon!" lachte
das Christkindchen. "Hast du Lichter?"
"Lichter nicht," meinte der Weihnachtsmann, "aber `n
Wachsstock!"
"Das ist fein", sagte das Christkind, nahm
den Wachsstock, zerschnitt ihn und drehte erst ein Stück um den
Mitteltrieb des Bäumchens und die anderen Stücke um die Zweigenden,
bog sie hübsch gerade und sagte dann: "Feuerzeug hast du
doch?"
"Gewiss", sagte der Alte, holte Stein, Stahl und Schwammdose
heraus, pinkte Feuer aus dem Stein, ließ den Zunder in der
Schwammdose zum Glimmen kommen und steckte daran ein paar
Schwefelspäne an. Die gab er dem Christkindchen. Das nahm einen
hellbrennenden Schwefelspan und steckte damit erst das oberste
Licht an, dann das nächste davon rechts, dann das
gegenüberliegende, und rund um das Bäumchen gehend, brachte es so
ein Licht nach dem andern zum Brennen.
Da stand nun das Bäumchen im Schnee; aus seinen halbverschneiten
dunklen Gezweig sahen die roten Backen der Äpfel, die Gold - und
Silbernüsse blitzten und funkelten, und die gelben Wachskerzen
brannten feierlich. Das Christkindchen
lachte über das ganze rosige Gesicht und patschte in die Hände, der
alte Weihnachtsmann sah gar nicht mehr so brummig aus, und der
kleine weiße Spitz sprang hin und her und bellte.
Als die Lichter ein wenig heruntergebrannt waren, wehte das
Christkindchen mit seinen goldsilbernen Flügeln, und da gingen die
Lichter aus. Es sagte dem Weihnachtsmann, er solle das Bäumchen
vorsichtig absägen. Das tat der, und dann gingen beiden den Berg
hinab und nahmen das bunte Bäumchen mit.
Als sie in den Ort kamen, schlief schon alles. Beim kleinsten Hause
machten die beiden halt. Das Christkindchen machte leise die Tür
auf und trat ein; der Weihnachtsmann ging hinterher. In der Stube
stand ein dreibeiniger Schemel mit einer durchlochten Platte, den
stellten sie auf den Tisch und steckten den Baum hinein. Der
Weihnachtsmann legte dann noch allerlei schöne Dinge, Spielzeug,
Kuchen, Äpfel und Nüsse unter den Baum, und dann verließen beide
das Haus ebenso leise, wie sie es betreten hatten.
Als der Mann, dem das Häuschen gehörte,
am anderen Morgen erwachte und den bunten Baum sah, da staunte er
und wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Als er aber an den
Türpfosten, den des Christkinds Flügel gestreift hatte, Gold - und
Silberflimmer hängen sah, da wusste er Bescheid. Er steckte die
Lichter an dem Bäumchen an und weckte Frau und Kinder.
Das war eine Freude in dem kleinen Hause, wie an keinem
Weihnachtstage. Keines von den Kindern sah nach dem Spielzeug und
nach dem Kuchen und den Äpfeln, sie sahen nur nach dem Lichterbaum.
Sie fassten sich an den Händen, tanzten um den Baum und sangen alle
Weihnachtslieder, die sie wussten, und selbst das Kleinste, was
noch auf dem Arme getragen wurde, krähte, was er krähen
konnte.
Vor dem Fenster aber standen das Christkindchen und der
Weihnachtsmann und sahen lächelnd zu.
Als es helllichter Tag geworden war, da kamen die Freunde und
Verwandten des Bergmanns, sahen sich das Bäumchen an, freuten sich
darüber und gingen gleich in den Wald, um sich für ihre Kinder auch
ein Weihnachtsbäumchen zu holen. Die anderen Leute, die das sahen,
machten es nach, jeder holte sich
einen Tannenbaum und putzte ihn an, der eine so, der andere so,
aber Lichter, Äpfel und Nüsse hingen sie alle daran.
Als es dann Abend wurde, brannte im ganzen Dorfe Haus bei Haus ein
Weihnachtsbaum, überall hörte man Weihnachtslieder und das Jubeln
und Lachen der Kinder.
Von da aus ist der Weihnachtsmann über ganz Deutschland
gewandert und von da über die ganze Erde. Weil aber der erste
Weihnachtsbaum am Morgen brannte, so wird in manchen Gegenden den
Kindern morgens beschert.
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