Erwarte nichts...
Erwarte gar nichts...
Wenn Dir Dein kleines Leben auch nur minimal etwas wert
ist
Es hämmert und schlägt. Es ächzt und kracht in Karl-Heinz
Käschers Kopf, der sich schlaflos und verschwitzt in seinem Bett
hin und her wälzt.
Zeichen. Überall sieht er Zeichen. Zeichen, die er nicht deuten
kann, die ihn verwirren und um den Schlaf bringen.
Drei "Briefe" hat Karl-Heinz in den letzten Tagen erhalten. Einer
mysteriöser als der andere, alle samt unverständlich und ohne
erkennbaren Zusammenhang.
Was soll das bloß?
Käscher versucht sich zu erinnern:
Sonntag, 20. November - ein beißender Wind
treibt Käscher zurück in seine Wohnung. Der kurze Spaziergang durch
die menschenleere Stadt tat ihm dennoch gut. Bevor er jedoch die
abgewetzten und von zahlreichen Lackschichten blätternden Stufen
empor steigt, wirft er noch einen Blick in den blechernen
Briefkasten. Zum Sonntag erwartet er natürlich keinerlei
Poststücke, doch was ist
das? Wer wirbt denn hier wieder für irgendwelchen sinnlosen
Krempel? -denkt sich Karl-Heinz Käscher, steckt das gefaltete
Papier in die Brusttasche seines Mantels und schlägt die schwere,
hölzerne Kassettentür zu seiner Wohnung zu. Stille durchzieht das
kalte Treppenhaus.
Dienstag, 22. November - ein steter,
trockener Husten lässt Käschers Lungen brennen. Die zurückliegende
Erkältung setzte ihm offensichtlich mehr zu, als er ahnte. Mit dem
linken Ellenbogen klinkend und der Schulter schiebend zwängt sich
Käscher durch die zweiteilige Haustür. Schwere Einkaufstüten in
beiden Händen lassen ihn stöhnen. Stück für Stück schleppt er sich
die Treppen hinauf, als sich plötzlich und vollkommen unerwartet
eine knarzend Tür öffnet. Karl-Heinz, mit dem Schreck ringend,
reißt beide Arme in die Luft, sodass sämtliche Einkäufe zu Boden
stürzen.
"Aber Herr Käscher" flüstert leise eine zerbrechliche Stimme aus
der wenig geöffneten Tür. "Was machen Sie denn da zwischen den
ganzen Eiern, der Milch und den Sauren Gurken?"
Karl-Heinz Käscher, einen epischen Wutanfall unterdrückend, zwingt
sich ob der misslichen Lage zu seinem freundlichsten Tonfall.
"Guten Abend, Frau Grabowski, lang nicht gesehen. Wie geht's denn
so?"
"Alles beim Alten, Herr Käscher" antwortet die betagte Dame.
"Wissen Sie, ich habe gerade gar keine Zeit, drinnen läuft doch
dieser Bohlen im Fernsehr!"
"Verstehe..." Käscher war noch nie ein guter Schauspieler
gewesen...
"Heut Vormittag fand ich
dieses Papier, angenagelt an der Haustür! Angenagelt! Stellen
Sie sich das mal vor! Das ist Sachbeschädigung! Ich habe das sofort
der Verwaltung gemeldet."
Käscher, einen Blick auf das Papier werfend, erkennt sofort, dass
dies wohl kaum an Frau Grabowski adressiert gewesen ist. "Kann ich
mal sehen?" fragt Käscher, dem die alte Dame das Dokument in die
Hände drückt und mit einem "Der Bohlen...!" die Tür ihrer Wohnung
vor Käschers Nase zuschlägt.
Ein eklig schwerer Geruch steigt zu Karl-Heinz auf.
Wischen...
Mittwoch, 23. November - Weißer Strand, blaue
Lagunen und frische Kokosnüsse. Leicht bis kaum bekleidete, gut
gelaunte Mädchen so weit das Auge reicht. Junge, nackte Körper
reichen Käscher eisgekühlte, süße Drinks. Die Sonne lacht im
Paradies auf Erden...
Ein plötzlicher Flug von Reflexionen und einem ohrenbetäubenden
Krachen reißen Käscher aus seinem unwirklichen Traum. Splitter,
überall gesplittertes Glas. Der Wind der Nacht weht die vergilbten
Gardinen durchs zerschlagene Fenster.
Geschockt springt Käscher auf und fliegt doch ebenso schnell wieder
auf sein Bett. Scherben schneiden ihm in die nackten Fußsohlen.
Frisches, warmes Blut färbt den alten Teppich. "Verdammte Scheiße!"
schreit Käscher inbrünstig in die Dunkelheit hinaus "Nicht mit mir,
ihr Penner! Irgendwann..."
Ohne danach suchen zu müssen, sieht Käscher die Tatwaffe. Der
Pflasterstein ist in Papier gewickelt. Käscher liest, doch versteht
nicht:
Erwarte nichts...
Erwarte gar nichts...
Wenn Dir Dein kleines Leben auch nur minimal etwas wert
ist
Tage und Stunden sind seither vergangen. Ruhige. Die
Vorkommnisse, die Dokumente und der Husten lassen Käscher seither
nicht mehr los. An Schlaf ist nicht zu denken. Von Verzweiflung
gerichtet und sich die wenigen, verbliebenen Haare raufend,
schüttelt Käscher träge seinen schmerzenden Kopf. Den Blick auf die
"Briefe" gerichtet erkennt er plötzlich Verborgene
Muster...
Hier wird nicht
gespoilert!
Es wird alles wieder so versteckt, wie vorgfunden!