Die Hellseherin von Barlinghausen
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Die Hellseherin von Barlinghausen
Zu der Zeit, als die Frauen, Töchter und Mägde noch fleißig Flachs zu spinnen pflegten, diente auf einem Hofe in Barlinghausen eine Kleinmagd, die wenig Geschick und noch weniger Lust zu diesem Geschäft zeigte. Selten hatte sie das ihr vorgeschriebene Stück am Abend fertig gesponnen.
Ihr Herr, der ein strenger und grausamer Mann war, musste sie darum oft tadeln und, als alle Ermahnungen nichts verschlugen, auch bestrafen. Mit Vorliebe umwickelte er zu diesem Zwecke den Zeigefinger der Magd mit einem Flachsfaden und hielt Finger und Faden eine Zeitlang über ein brennendes Licht. Da auch diese Strafe das Mädchen nicht besserte, führte der Bauer eine neue, noch schrecklichere Art der Bestrafung ein.
Wenn das Mädchen sein Stück nicht gesponnen hatte, führte der Bauer es am folgenden Tage auf den Hofplatz und gebot ihm, sich auf eine Düngerschleife zu setzen. Das linke Handgelenk der Magd wurde dann durch einen Strick mit der Schleife verbunden. Dann spannte der Bauer ein Pferd vor die Schleife, und der auf ihm reitende Knecht hatte nun schnell und immer schneller auf der Hofstelle im Kreise herumzufahren. Da die Schleife keine Lehne hatte und also keinen Halt bot, fiel das Mädchen natürlich herunter und wurde dann an der Erde hinter der Schleife hergeschleppt.
Einmal - es war an einem Wintertage - gelang es indes dem Mädchen, den Strick, der ihr Handgelenk umschloss, zu lösen. Als sie nun von der Schleife rollte, wurde sie nicht wie sonst an dem Strick hinter dem Pferde hergeschleppt. Aber durch den Schwung, den sie beim Herabfallen von der Schleife erhalten hatte, rollte sie statt dessen die schräge Hofwurt hinunter in den Hofgraben, der unter einer dünnen Eisschicht hoch mit Wasser gefüllt war. Weder Herr noch Knecht kümmerten sich sogleich um das Mädchen, meinten auch vielleicht, dass das unfreiwillige Bad erzieherisch auf sie wirken könne. Als man sie aber schließlich aus dem eiskalten Wasser herausziehen wollte, hatte sie bereits ihr Leben ausgehaucht. Da verscharrten die Männer die Leiche unter dem Eis des Grabenrandes.
Seit jenem Tage erschien Nacht für Nacht auf dem Hofe des grausamen Bauern eine gespenstische Erscheinung. Es war das tote Mädchen, niemand anders. Sie zeigte sich allen Bewohnern des Hauses, beunruhigte aber vor allem auch die Frau des Bauern, die von den Vorgängen in ihrem eigenen Hause keine Kenntnis hatte. Darüber erkrankte die Frau ernstlich. Als dann aber zu allem auch noch die Mutter der Toten zu ihr kam und ihre Vermutungen über die Todesursache ihrer Tochter aussprach - denn trotz des Schweigens des Bauern und seines Knechtes war die Leiche gefunden und Kunde von der Untat durchgesickert, beteuerte die Frau die Unschuld ihres Mannes und rief in Gegenwart der Mutter des Mädchens den Himmel an, er möge, wenn das Gerede der Leute auf Wahrheit beruhe, ein Wunder geschehen lassen und sie mit demselben Element strafen, mit dem ihr Mann gesündigt haben sollte - mit Wasser.
Und es geschah wirklich ein Wunder!
Der Bauer, von dem hier die Rede ist, besaß ein Töchterchen, das er über die Maßen liebte. Dieses Kind machte der Himmel am gleichen Tage noch hellseherisch. Alle Sprachen der Erde konnte es plötzlich sprechen und jegliche Bibelstelle zitieren, ja jedermann sagen, was er zu jeder beliebigen Zeit getan, gesprochen, geschrieben, gelesen hatte. Das sprach sich natürlich schnell herum, und bald kamen die Neugierigen aus der ganzen Umgegend zu Fuß und Wagen angereist, um sich von der Wahrheit des Gerüchtes, von des Kindes hellseherischer Kraft zu überzeugen. Je mehr Beispiele seiner Kraft das Kind aber gab, desto größer wurde der Zulauf der Wissbegierigen, und bald brachten die Reisewagen Neugierige aus allen Teilen Deutschlands, ja der ganzen Welt herbei, die das Kind sprechen und hören wollten.
Noch merkwürdiger fast war es, dass dasselbe zarte Kind, das solche überirdische Kraft besaß, seit jenem Tage nicht mehr wie andere Menschen trank, sondern gleich einem Stück Vieh Wasser eimerweise zu sich nahm. - Der Himmel hatte die Frau gestraft mit dem Element, mit dem ihr Mann gesündigt hatte - mit Wasser.
Nicht lange darauf begab es sich, dass das Kind das Haus verließ, vor den Augen der Leute durch Wasser und Gräben schritt, ohne seine Schuhe und Kleider dabei zu benetzen, und dann für immer den Blicken der Menschen entschwand.
Seitdem wurde die Familie des Bauern ununterbrochen vom Schicksal heimgesucht, und ein Unglück nach dem anderen, Krankheit und Tod häuften sich auf ihn und seine Angehörigen, und schließlich war nur noch der Bauer über. Aber auch er schied - als letzter seines Geschlechts - auf schreckliche Weise aus dem Leben. Und das kam so:
An einem Herbsttage hatte er auf einem mit vier Pferden bespannten Wagen Roggen nach der Brennerei in Sievern gebracht. Bei dieser Gelegenheit verspätete er sich, und es herrschte längst tiefe Dunkelheit, als er endlich bei schrecklichem Sturm und Wetter den Rückweg antrat. Zu Hause fiel sein Ausbleiben zunächst nicht auf. Man nahm an, er habe sich aus irgendeinem Grunde entschlossen, in Sievern zu übernachten, und werde am nächsten Tage zurückkehren. Als man aber am nächsten Tage die Haustür öffnete und nun den Hund des Bauern, den dieser mitgenommen hatte, scharrend und winselnd vorfand, hielt man, nichts Gutes ahnend, Nachsuche nach dem Herrn. Und nicht lange, da hatte man ihn gefunden.
Er lag auf halbem Wege in einem Graben, zertreten von seinen eigenen Pferden. Es stellte sich heraus, dass der Bauer in der Dunkelheit den Weg verfehlt und mit Pferden und Wagen den tiefen Wallgraben durchquert, dann jenseits desselben mit dem Gespann in einen anderen Graben geraten und dort steckengeblieben war. Als er sich aber nun bemüht hatte, die Pferde aus dem Graben herauszuziehen, hatten sie ihn mit ihren Hufen buchstäblich zermalmt.
Über dem Unglückshause von Barlinghausen will man auch nach des Bauern Tode noch oft ein Spuklicht gesehen haben, das dreimal nacheinander aufflammte und dann verschwand.
Additional Hints
(Decrypt)
Hagra