27. Dezember - Die 4
Rauhnacht
Die Alte im
Wald
Es fuhr einmal ein armes
Dienstmädchen mit seiner Herrschaft durch einen großen Wald, und
als sie mitten darin waren, kamen Räuber aus dem Dickicht hervor,
und ermordeten wen sie fanden. Da kamen alle mit einander um bis
auf das Mädchen, das war in der Angst aus dem Wagen gesprungen, und
hatte sich hinter einen Baum verborgen. Wie die Räuber mit ihrer
Beute fort waren, trat es herbei, und sah das große Unglück. Da
fing es an bitterlich zu weinen, und sagte “was soll ich
armes Mädchen nun anfangen, ich weiß mich nicht aus dem Wald heraus
zu finden, keine Menschenseele wohnt darin, so muß ich gewiß
verhungern“. Es ging herum, suchte
einen Weg, konnte aber keinen finden. Als es Abend war, setzte es
sich unter einen Baum, befahl sich Gott, und wollte da sitzen
bleiben, und nicht weggehen, möchte geschehen was immer wollte. Als
es aber eine Weile da gesessen hatte, kam ein weiß Täubchen zu ihm
geflogen, und hatte ein kleines goldenes Schlüsselchen im Schnabel.
Das Schlüsselchen legte es ihm in die Hand, und sprach
“siehst du dort den großen Baum, daran ist ein kleines
Schloß, das schließ mit dem Schlüsselchen auf, so wirst du Speise
genug finden, und keinen Hunger mehr leiden“. Da ging es zu
dem Baum, und schloß ihn auf, und fand Milch in einem kleinen
Schüsselchen, und Weißbrot zum Einbrocken dabei, daß es sich satt
essen konnte. Als es satt war, sprach es “jetzt ist die Zeit,
wo die Hühner daheim auffliegen, ich bin so müde, könnt ich mich
doch auch in mein Bett legen“. Da kam das Täubchen wieder
geflogen, und brachte ein anderes goldenes Schlüsselchen im
Schnabel, und sagte “schließ dort den Baum auf, so wirst du
ein Bett finden“. Da schloß es auf, und fand ein schönes
weiches Bettchen, da betete es zum lieben Gott, er möchte es
behüten in der Nacht, legte sich, und schlief ein. Am Morgen kam
das Täubchen zum drittenmal, brachte wieder ein Schlüsselchen, und
sprach “schließ dort den Baum auf, da wirst du Kleider
finden“, und wie es aufschloß, fand es Kleider mit Gold und
Edelsteinen besetzt, so herrlich, wie sie keine Königstochter hat.
Also lebte es da eine Zeit lang, und kam das Täubchen alle Tage,
und sorgte für alles, was es bedurfte, und war das ein stilles,
gutes Leben.

Einmal aber kam das Täubchen,
und sprach “willst du mir etwas zu Liebe tun?“
“Von Herzen gerne“ sagte das Mädchen. Da sprach das
Täubchen “ich will dich zu einem kleinen Häuschen führen, da
geh hinein, mittendrin am Herd wird eine alte Frau sitzen und guten
Tag sagen. Aber gib ihr bei Leibe keine Antwort, sie mag auch
anfangen was sie will, sondern geh zu ihrer rechten Hand weiter, da
ist eine Türe, die mach auf, so wirst du in eine Stube kommen, wo
eine große Menge von Ringen allerlei Art auf dem Tisch liegt,
darunter sind prächtige mit glitzerigen Steinen, die laß aber
liegen, und suche einen schlichten heraus, der auch darunter sein
muß, und bring ihn zu mir her, so geschwind du kannst.“ Da
ging das Mädchen hin zu dem Häuschen, und trat zu der Türe ein, da
saß eine Alte, die machte große Augen wie sie es sah, und sprach
“guten Tag mein Kind“. Es gab ihr keine Antwort, und
ging auf die Türe zu. “Wo hinaus?“ rief sie, und faßte
es beim Rock, und wollt es festhalten, “das ist mein Haus, da
darf niemand herein, wenn ichs nicht haben will“. Aber das
Mädchen schw ieg immer still,
machte sich von ihr los, und ging gerade in die Stube hinein. Da
lag nun auf dem Tisch eine übergroße Menge von Ringen, die glitzten
und glimmerten ihm vor den Augen, es warf sie herum, und suchte
nach dem schlichten, konnte ihn aber nicht finden. Wie es so
suchte, sah es die Alte, wie sie daher schlich, und einen
Vogelkäfig in der Hand hatte, und damit fort wollte; da ging es auf
sie zu, und nahm ihr den Käfig aus der Hand, und wie es ihn aufhob,
und hinein sah, saß ein Vogel darin, der hatte den schlichten Ring
im Schnabel. Da nahm es den Ring, und lief ganz froh damit zum Haus
hinaus, und dachte das weiße Täubchen würde kommen, und den Ring
holen, aber es kam nicht. Da lehnte es sich an einen Baum, und
wollte auf das Täubchen warten, und wie es so stand, da war es als
wäre der Baum weich und biegsam, und senkte seine Zweige herab. Und
auf einmal schlangen sich die Zweige um es herum, und waren zwei
Arme, und wie es sich umsah, war der Baum ein schöner Mann, der es
umfaßte, und herzlich küßte, und sagte “du hast mich erlöst
und aus der Gewalt der Alten befreit, die eine böse Hexe ist. Sie
hatte mich in einen Baum verwandelt, und alle Tage ein paar Stunden
war ich eine weiße Taube, und so lang sie den Ring besaß, konnte
ich meine menschliche Gestalt nicht wieder erhalten.“ Da
waren auch seine Bedienten und Pferde von dem Zauber frei, und
keine Bäume mehr, und standen neben ihm; da fuhren sie fort in sein
Reich, denn er war eines Königs Sohn, heirateten sich, und lebten
glücklich.
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