Der geheimnisvolle Turm im Wald

Tief im Herzen des alten Winterwaldes, dort, wo der Schnee auf den Moospolstern glitzert wie Zuckerkristalle, stand einst ein Baum so gewaltig, dass selbst die Eulen ehrfürchtig verstummten, wenn sie über ihn hinwegflogen. Seine Wurzeln waren dick wie Schlangen und zogen sich tief in die Erde.

Und unter einer dieser Wurzeln – verborgen vor aller Welt – stand ein kleiner Turm.
 
Er war nicht größer als ein Pilzhaus, gebaut aus grauen Steinchen, die wohl einst von Zwergenhand gesetzt worden waren.

In seinem Inneren wohnte Ole, ein winziger Turmwächter. Seine Aufgabe war es, das Licht des Waldes zu hüten – eine kleine Flamme, die in einer Kristalllaterne brannte und dafür sorgte, dass die Tiere auch im tiefsten Winter Hoffnung fanden.

Doch in diesem Jahr war der Winter besonders streng. Der Schnee fiel früher als sonst, und die Nacht kam, als hätte sie die Sonne verschluckt. Selbst Oles Flamme begann zu flackern. Die Laterne war alt, und der Kristall hatte einen feinen Sprung bekommen. Wenn das Licht erlosch, so wusste Ole, würde der Wald in Dunkelheit und Frost versinken.

Also machte er sich auf den Weg. Er stapfte hinaus in die Kälte, seinen roten Schal fest um den Hals gewickelt. „Irgendwo muss ich einen neuen Kristall finden“, murmelte er. „Nur so kann das Licht weiterleben.“

Er wanderte durch den Schnee, vorbei an schlafenden Füchsen, über gefrorene Bäche und unter Eiszapfen, die wie Orgelpfeifen klangen. Schließlich erreichte er eine Lichtung, auf der ein einziger Stern besonders hell auf ihn herableuchtete. Und genau dort, im Schnee, glitzerte etwas: ein klarer, runder Stein – wie ein Tropfen Mondlicht. Ole hob ihn vorsichtig auf. Der Stein war warm, als würde er ein Herz darin schlagen spüren.

„Ein Weihnachtssternstein“, flüsterte eine Stimme hinter ihm. Eine alte Eule saß auf einem Ast und lächelte. „Er erscheint nur einmal im Jahr – für den, der das Licht bewahrt, nicht für sich, sondern für andere.“

Ole nickte ehrfürchtig, bedankte sich und eilte zurück zu seinem kleinen Turm unter der Wurzel. Dort setzte er den Sternstein in die Laterne. Ein goldenes Leuchten erfüllte das Zimmer, heller als je zuvor. Durch den Boden, durch die Erde, ja, bis hinauf in die Zweige des alten Baumes drang das Licht – und überall erwachte Wärme.

Die Tiere des Waldes krochen aus ihren Höhlen. Rehe, Hasen und selbst die Wildschweine blieben stehen und sahen staunend, wie der Schnee im Licht tanzte. Es war Weihnachten geworden – still, friedlich und voller Glanz. Seitdem leuchtet jedes Jahr zu Weihnachten ein goldenes Funkeln unter der großen Wurzel, und wer es findet, sagt, er höre eine leise Stimme singen:

„Solang ein Licht im Dunkel wohnt, wird Hoffnung niemals untergehn.“ Und wenn du je in einem Wintertag durch den Wald gehst, halte Ausschau nach der Wurzel – vielleicht findest du ja Oles kleinen Turm. Und wenn du ganz viel Glück hast, entdeckst du links neben dem Turm seine Schatzkiste, in der er für die ersten Besucher einen Weihnachtssternstein bereit hält.

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